„ICH BIN EIN BEGEISTERTER ANARCHIST “
DIE WELT, 10. März 2004
Kinderbauchautor Janosch über Kindheit, Vertreibung und eine Begegnung mit Astrid Lindgren
In dieser Woche erscheinen neue DVDs von Janosch, einem der bekanntesten Kinderbuchautoren und -zeichner. Derzeit arbeitet er an einer Zeichentrick-Version von „Oh, wie schön ist Panama“. Mit Janosch sprach Wieland Freund.
DIE WELT: Sie gelten als Prophet der Faulheit. Etwa 300 Bücher sprechen aber eine andere Sprache.
Janosch: Ich bin unheimlich faul, aber ich muss ja arbeiten, um mich zu ernähren. Und wenn Sie jeden Tag drei Stunden arbeiten und schon so alt sind wie ich, dann kommen halt 300 Bücher raus. Ich wäre gern faul. In meinem Horoskop steht, dass Arbeit mich unglücklich macht. Das ist ein Lebensgesetz, das muss man erfüllen.
DIE WELT: Dass Sie noch arbeiten müssen, ist wenig glaubwürdig.
Janosch: Na ja, jetzt nicht mehr. Aber damals schon. Bis in die Achtziger musste ich unheimlich viel arbeiten. Die Bücher waren so schlecht bezahlt, für eines habe ich pauschal nur 450 Mark gekriegt. Ich musste damals zehn Bücher pro Jahr machen, um mich zu ernähren. Heute arbeite ich bloß noch für Papa Löwe Film.
DIE WELT: Kein neues Buch? Janosch: Doch. Es geht um die Tigerente, die geraubt wird. Aber das verrate ich nicht,
sonst ist es raus. DIE WELT: In Interviews erzählen Sie gern Geschichten, die dann doch nicht wahr sind. Janosch: Aber das machen doch alle, oder? DIE WELT: Die Janosch-Stiftung gibt es wirklich.
Janosch: Mit der Stiftung habe ich angefangen. Sie steckt aber noch in den Kinderschuhen. Ich möchte alles, was übrig bleibt, für „Ärzte ohne Grenzen“ stiften. Ich habe zuletzt tolle Ärzte erlebt.
DIE WELT: Ein humanistisches Anliegen. Dabei gelten Sie als Misanthrop.
Janosch: Das sind Erfindungen. Eines Tages fingen die Frauen an, mich anzugreifen. Ich wäre ein Frauenfeind! Was sollte ich tun? Das ist ja eine Kriegserklärung, und die nehme ich doch an!
DIE WELT: Die Geschichten um Papa Löwe jedenfalls stehen im Widerspruch zu Ihrem Ruf als Gegner der Emanzipation. Dort hütet Papa die Kinder, während Mama die Euros verdient.
Janosch: Das ist kein Widerspruch, das ist eine Entwicklung. Damals wollten die Frauen nicht arbeiten und haben den Alten geschickt. Jetzt gehen sie arbeiten, weil sie denken, außerhalb sei es wichtiger, und lassen den Alten zu Hause.
DIE WELT: Wer außerhalb arbeitete, hatte schon immer die Macht.
Janosch: Vielleicht habe ich das gerade nicht richtig hingekriegt. Ich hatte immer Ärger mit meinen Frauen, weil ich als Frauenfreund galt. Da habe ich mir gedacht, dann bin ich halt Frauenfeind. In Wirklichkeit ist mir das egal.
DIE WELT: Die einen sagen, die Geschichten von Janosch sind reaktionär. Die anderen sagen, Janosch sei ein Anarchist.
Janosch: Ich bin ein begeisterter Anarchist! Nicht im landläufigen Sinn eines Zerstörers allerdings. Ich lehne mich gegen jede Gewaltausübung auf. Wer mit Macht gegen mich vorgeht, läuft auf.
DIE WELT: Als Anarchist können Sie mit der neuen Strenge in der Kindererziehung wenig anfangen?
Janosch: Die Eltern sollen nicht strenger, sondern klüger werden. Am besten wäre es, man gäbe den Kindern ein Beispiel. Am besten wäre es, die Alten machten es richtig. Meine Kinder zum Beispiel würden sich schämen, Markenklamotten zu tragen.
DIE WELT: Sie haben aber doch gar keine Kinder. Janosch: Doch, eins. Immer verheimlicht. Meine Tochter ist 26 und läuft in Fliegerstiefeln
im Wald rum. Sie ist Biologin.
DIE WELT: Derzeit läuft die Diskussion um die Vertriebenen. Gerade die so genannten 68-er, die Sie nicht besonders mögen, nehmen sich jetzt des Themas an. Sie sind kein Vertriebener, kommen aber aus den betroffenen Gebieten. Was halten Sie von der Diskussion?
Janosch: Viele haben sich durch die so genannte Vertreibung ja verbessert – wie ich. Wäre ich da geblieben, es wäre eine Katastrophe. Wir hatten nichts zu essen, keine Wohnung, nichts. Wie das für die anderen war, weiß ich nicht. Viele haben natürlich Heimweh. Das habe ich auch. Aber nach der Zeit, nicht nach der Gegend. Die Zeit war schon toll. Alles war finster, und in den Häusern hingen bloß ein paar Lampen. Die Straßen waren nicht gepflastert, das Brot musste man selber backen, und ein Ofen heizte zwei Zimmer.
DIE WELT: Sie haben Astrid Lindgren gekannt…
Janosch: Ich bin für eine Zeitschrift zu ihr hingefahren. Sie war schon alt und wollte mit niemandem mehr reden. Da haben die mich als Vorwand hingeschickt. Das fand ich schon fies. Wenn jemand 87 Jahre alt ist und keine Lust mehr hat zu reden, schickt man keinen Freund als Türöffner. Aber ich hatte das nicht kapiert.
DIE WELT: Lindgrens Werk wächst aus der Erinnerung an eine sehr schöne Kindheit – Ihres aus einer sehr unglücklichen. Was bedeutet das?
Janosch: Unglück bedeutet ein Nachholen. Wenn man eine Phase im Leben nicht ausleben durfte, muss man sie nachholen. Die jungen Leute, die im Krieg waren, sind immer pubertär geblieben, weil sie keine Zeit hatten für die Pubertät. Während andere von ihrer Kindheit erzählen, möchte ich meine korrigieren. Das ist vielleicht der Unterschied. Aber ich kann mich täuschen.
von Wieland Freund